Namensschildchen
- Daniel Costantino
- vor 5 Tagen
- 2 Min. Lesezeit
Ich weiss nicht, wie‘s anderen geht. Aber ich kann Namensschildchen nie lesen. Beim Metzger, beim Bäcker, beim Arzt. Überall muss das Personal so kleine Schildchen mit seinem Namen tragen, in einer viel zu kleinen Schrift. Neulich sogar bei der Vernissage einer Kakteenausstellung. Extra für den freudigen Anlass trugen alle diese Namensschildchen, die man nicht lesen kann, vom Gartengehilfen bis zur Obfrau des Organisationskomitees. Obwohl die eigentlich jeder mit Namen kennt, ausnahmsweise auch ich.
Es ist eine Manie geworden. Es ist undenkbar, dass überhaupt noch irgendein Laden existiert auf der Welt ohne Namensschildchen, weiss wie die Unschuld. Ich müsste jedesmal die Lesebrille zücken, um vielleicht eine Chance zu haben. Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein.
Seit meiner Jugend habe ich ein miserables Namensgedächtnis, ich nenne aus Prinzip selten jemand beim Namen. Nur wenn ich ganz sicher bin. Es tut mir leid für alle Meiers und Spänis und Franzens, die ich enttäuschen muss. Ich würde sie ja doch miteinander verwechseln, dann wären sie noch enttäuschter. Hingegen bewundere ich nichts mehr als Leute mit einem guten Namensgedächtnis. Gäbe es einen Preis dafür, ich hätte einen Favoriten: meine Apotheke.
In meiner Apotheke werd ich mit meinem Namen begrüsst, noch bevor die Türe ins Schloss fällt. Die jungen Verkäuferinnen, die alten, die Aushilfen, selbst die, die ich ein Jahr nicht gesehen habe, alle begrüssen mich sofort mit meinem Namen. Ich weiss nicht, wie die das machen, ich bin einer von Hunderten und komme nur alle paar Wochen vorbei. Die müssen ein geradezu episches Gedächtnis haben, allesamt. Es wird doch nicht die alte Apothekerin jedesmal hinter einem Wandschrank auf der Lauer sein und soufflieren.
Es hat keinen Zweck, jede Verkäuferin nach ihren Namen zu fragen, ich vergesse sie alle, noch ehe der Hahn dreimal kräht. Bei jedem Besuch müsste ich eine nach der andern wieder danach fragen und würde mich grauenhaft blamieren.
Da wäre es schon ganz praktisch, wenn ich wenigstens in meiner so freundlichen Apotheke die Namensschildchen auch lesen könnte. Sie müssten einfach etwas grösser sein. Mit einer deutlichen und kräftigen Schrift. So wie ein Geburtstagsgruss auf der Torte. Der Nachname würde schon genügen, man sieht ja, dass es alles Frauen sind. Das spart Platz. Jedenfalls in meiner Apotheke.
Ich finde, es ist an der Zeit, dass endlich einer bessere Namensschildchen erfindet auf diesem Planeten. Bei den Handys geht es ja auch. Ich kann doch nicht mit der Lupe kommen und in den weissen Kitteln wühlen. Oder den Damen dauernd auf den Busen starren. Sowas gehört sich doch nicht.
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