Der Nachmittag
- Daniel Costantino
- 5. Apr. 2023
- 3 Min. Lesezeit
I Am See
Jung gewesen, spazierte er nachmittags durchs Quartier nahe dem See, der Weg ein paar spröde Klötze Beton, in Fensterfronten schiffsbrüchig gespiegelt. Pflastersteinschlaufen, Kies. Zwei stützende Säulen blau und orange von Kindern bemalt. Gerümpel häufte sich auf, ein zerstochenes Plastikplanschbecken. Wurden Fenster geöffnet, blitzte die Sonne hindurch. Büsche beherrschten den Rasen, strenge berockte Matronen. In Untergeschossen Kleingewerbe, von Parkplätzen umstellt. Briefkästen, daneben manchmal ein Raucher und schaute gradaus. Sorgfältig ein buntes Plakat an einen Elektrizitätskasten geklebt. Fernes Stimmengeplätscher, Scheppern, kleine Motoren. Hier erst geboren sein. Und Strassennamen, Durchfahrt verboten ein Schild. Im Augenwinkel schob sich ein Kinderwagen. Zu Blumenbeeten, schmerbauchig darüber Balkone, trugen sie Kessel. Brütend und gähnend Abfallcontainer. Maunzte ein Katzenbuckel, rieb sich an einer kalten Laterne, scherte sich nicht. Er besann sich den Gehstock darauf, die Knochen zu fühlen, als wären sie jung, und frei den Geist über die Jahre zu tragen, dazwischen wäre kein Leben gewesen. Die Einfahrt zur Siedlung, der Himmel war blau. War eines gewesen? Im Wind eine leere Schaukel, wiegte hin und her. Über den letzten Dächern flogen die Raben davon.
Und dann gekräuselt der See, es zirpten die Grillen, oder war es ein Tinnitus, und standen Bäume ringsum, in Schatten getunkte Bänke. Er fragte ein Kind, ob es die Zeit schon kenne, das rannte zur Mutter, die nestelte die Lippen. Hier sei es so schön, dass sie die Zeit vergesse. Eine Weide mit Pferden da hinten. Das Schwere, das Leichte, alles sei Luft. Sie trat näher heran. Das Kind sei manchmal zu ängstlich. Letzthin sei die Oma im Wald über Wurzeln gestolpert und habe sich weh getan. Da habe es geschrien im Glauben, sie sterbe, auch nachts noch im Traum die Oma am Boden im Wald. Er nickte, blickte sich um. An einer Gabelung ein sportlicher Mann und hielt sein Rad, pfiff durch die Finger, ein Hund tauchte auf, gemeinsam gingen sie weiter. Mit dem Kind spielte ein Junge jetzt Fangen. Sie sei im Ausland gewachsen voll Brunnen und Tiere, erzählte die Frau. Er griff an sein Ohr, das sich halb geschlossen hatte.
Im Schatten setzten sie sich, lauschig, von Blattgrün bekränzt. Sahen dem Spielen der Kinder zu, wie sie sich Kunststücke zeigten. Stolz strich sie ein Haar von der Stirn. Zu ihren Füssen war schräg ein Baumstamm gelegt, an den Stümpfen lustige Fähnchen im Wind. Rädchen fielen ihm ein, Spielzeug aus Plastik, leise Propeller. Die Bank, auf der sie sassen, gehörte der Stadtgärtnerei, daran gelehnt sein Stock. Fischen verbot ein hölzernes Schild. Vom Schwimmen stand nichts. Früher hatte er tauchen gelernt. Seine Rädchen wurden zu Fischen, grau und blau wie das Wasser. Sie arbeite im Spital, putzen auf Q, putzen auf P. Auf beiden Stöcken Herzchirurgie. Ein gutes Team seien sie. Jetzt glucksten die Kinder. Er machte eine Litteringtafel aus und ein Jogger lief um den See, steif und korrekt. Er erzählte von Italien, wie man ihn nachts durch ein Städtchen geführt und er, neunzehnjährig, eine gioielleria für ein Freudenhaus gehalten und sich geniert habe. Italienisch verstand sie aber nicht. Gioia heisse Freude, aber gioielleria sei kein Freudenhaus, sondern eine Bijouterie. Sie lachte und er stimmte ein. Wachteln habe er damals gegessen, aber das hätten sie ihm erst hinterher verraten. Sie hörten den Vögeln zu, einem Frosch. Die Kinder standen um eine Skulptur. Die Erinnerung zog Kreise im See.
Auf P und Q stehe alle zehn Meter ein Stuhl an der Wand, so könnten die Patienten sich von der Anstrengung des Gehens ausruhn. Er wisse das, nickte er, ein Freund sei einmal dort gewesen. Sie machte grosse Augen. Bypass und so, sagte er. Es gehe ihm wieder viel besser. Nein, geraucht habe sein Freund nie, dafür trinke er keinen Tropfen Alkohol mehr. Vielleicht sei man sich ja damals auf der Station schon einmal begegnet, es seien fast auf den Tag zwei Jahre vergangen seitdem. Sie dachte kurz nach. Nein, da habe sie noch anderswo geputzt. Spital erst seit anderthalb Jahren. Sie sei eine Serbin. Ob er hier geboren sei? An einem Ort in der Nähe, so und so. Und holte ein wenig aus. In jungen Erwachsenenjahren zugezogen. Fast in allen Quartieren der Stadt schon gewohnt. Aufmerksam hörte sie zu. Der Jogger hatte den See fast schon umrundet, verschwand hinter Schilfrohr, blinkte wie ein Sekundenzeiger daraus hervor. Die Kinder waren auf die Skulptur geklettert, tätschelten sie. Nun wolle er nicht mehr umziehen. Im Alter, sagte er ihr, herrsche eine ganz andere Psychologie. Man fühle sich nicht mehr getrieben. Als junger Mensch habe er immer ein anderes Leben gesucht. Das habe sich inzwischen gelegt. Munter wurde ihm dabei. Es gebe ein Kinderlied, das handle davon: was einer habe, wolle er nicht, und was er wolle, habe er nicht. Und er sang und schloss mit schönem Ton. Da lachten sie wieder.


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