Wer ist man?
- Caspar Reimer
- 8. Okt.
- 2 Min. Lesezeit
Ganz ehrlich: Ich verstehe jeden, der keine Nachrichten schaut, keine Zeitung liest. Ich habe es selbst einmal eine halbe Woche versucht, aber nicht länger durchgehalten. Warum eigentlich? Irgendwie scheint es, als ob ich doch wissen will, was auf der Welt so läuft, obschon das, was so läuft, zuverlässig immer dasselbe ist. Diese Einsicht gilt auch für solche wie mich, die schlau sind und sich, potzdonner, vertieft informieren. Was für andere – wie man früher mit Blick auf die gedruckte Zeitung sagte – eine Bleiwüste ist, kommt mir einem Meer aus unendlichen Möglichkeiten gleich, wo ich in hoher Erwartung fischen gehe, hoffend, einmal doch noch etwas Neues zu entdecken. Doch auch da fällt die Bilanz nüchtern aus. Ich kann zwar mit Details aufwarten, etwa über die alles andere als demokratischen Methoden der Pro-Europa-Partei in Moldau oder über die eigentlichen Urheber von Trumps Friedensplan für Gaza. Aber, ganz ehrlich, bringt mich das durchs Leben? Und ist die Besserwisserei in Dingen der Weltpolitik das, was mir dereinst, wenn ich sterben werde, wichtig erscheinen wird?
Viel wichtiger als das Wissen um solcherlei Dinge scheint mir doch das Getue drumherum. Ich gehöre wie schon erwähnt zu jenen, die – obschon ich nicht sehr alt bin – noch die gedruckte Zeitung lesen, ja in der Öffentlichkeit, auf einer Sitzbank im Park etwa. Oder ich lese ein Buch, so richtig altmodisch zum Anfassen. Während also die meisten in ihr Smartphone starren, starre ich in meine Zeitung oder in mein Buch und wenn mir selten ein Mensch begegnet, der es mir gleichtut, gibt es manchmal diesen kurzen, etwas verwunderten Blickkontakt. Ist da einer, der auch so ist wie ich? Wir mögen ein konträres Weltbild haben, doch der Umstand, dass wir uns beide für eine gedruckte Zeitung oder ein handfestes Buch entschieden haben, verbindet uns auf eine sonderbare Weise. Wer ist man? Was ist man? Wer ist man nicht? Und worauf will ich eigentlich hinaus? Ich weiss es nicht.

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